Botschaft des Lutherischen Weltbundes zu Ostern 2022

Der Auferstandene ruft  uns bei unserem Namen
Osterbotschaft, Pfarrerin Karla Steilmann Franco


Spricht Jesus zu ihr: Frau, was weinst du? Wen suchst du? Sie meint,
es sei der Gärtner, und spricht zu ihm: Herr, hast du ihn weggetragen,
so sage mir: Wo hast du ihn hingelegt? Dann will ich ihn holen. Spricht
Jesus zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf
Hebräisch: Rabbuni!, das heißt: Meister! Spricht Jesus zu ihr: Rühre
mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater.
Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu
meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott.
Maria Magdalena geht und verkündigt den Jüngern: „Ich habe den
Herrn gesehen“, und was er zu ihr gesagt habe. (Johannes 20,15-18)
Die Gnade und der Friede unseres Herrn Jesus Christus sei mit einer jeden
und einem jeden von uns. Amen.
Liebe Schwestern und Brüder, die Geschichten über die Auferstehung Jesu
Christi haben mich schon immer fasziniert. Sie wirken auf mich wie eine perfekte
Mischung aus Gefühlen, Reaktionen und menschlichem Handeln im Angesicht
des Göttlichen, und Jahr für Jahr nimmt das für mich eine neue Bedeutung
an und ermuntert mich, diese Geschichten aus einer neuen Perspektive oder
unter einem neuen Gesichtspunkt zu lesen. Die Geschichten sind so tiefgründig,
dass man sie nur durch den Glauben verstehen kann. Und das liegt daran,
dass sie nicht nur eine Situation beschreiben, die allen menschlichen Verstand
übersteigt, sondern dass sie uns genau genommen einen flüchtigen Einblick
in einen kleinen Teil des Göttlichen geben.
Die oben zitierte Passage aus dem Johannesevangelium stellt besondere
Anforderungen an uns, weil sie uns einlädt, die Geschichte aus dem Blickwinkel
einer Frau zu betrachten, nachzuempfinden und zu lesen. Natürlich erzählt der
Evangelist Johannes uns die Geschichte, aber die Ereignisse, um die es geht, hat
Maria durchlebt und erlebt – eine Frau, die Jesus auf seinem Weg begleitet hatte
und ihm nachgefolgt war, die seine Wundertaten mit eigenen Augen gesehen und
von ihm gelernt hatte. Sie war eine Jüngerin Jesu gewesen und in dem Moment,
um den es in der Geschichte oben geht, sitzt sie am Grab und weint. Sie weint,
weil derjenige, der ihr und den anderen Menschen Hoffnung auf eine anderes
Leben gegeben hatte, in dem alle Menschen mit Respekt behandelt werden,
gestorben war. Vielleicht weinte sie auch aus Enttäuschung, weil ihr klar wurde,
dass es zu guter Letzt doch alles vorbei war. In der zitierte Bibelpassage gibt Maria
ein vollkommen menschliches Bild ab – ein Mensch, der nach dem Tod eines
geliebten Menschen trauert, weil der Tod endgültig und unwiderruflich ist. Ihr
Schmerz und ihre Trauer sind so groß, dass sie ihre Umgebung gar nicht richtig
wahrnehmen kann und nicht erkennen kann, dass Jesus dort bei ihr steht und
LEBT. Erst als er sie beim Namen nennt, erkennt sie ihn, berührt ihn und auch
wenn Johannes das so explizit nicht beschreibt, macht sie das wahrscheinlich
glücklicher als man in Worte fassen kann.
Maria war das damals natürlich nicht bewusst, aber sie war als Frau in einem
gesellschaftlichen Kontext, der Frauen ganz allgemein feindlich gesinnt war,
die erste Zeugin des bedeutsamsten Ereignisses aller Zeiten, dem Ereignis, auf
das sich der christliche Glaube gründet: die Auferstehung Jesu.
Manchmal versuche ich mir Marias Gesichtsausdruck vorzustellen, als sie
Jesus erkennt. In meinem Kopf entsteht ein Bild von Maria, deren tränennasse
Augen sich voller Erstaunen und Überraschung immer weiter öffnen und Jesus
anschauen. Mir schaudert es, wenn ich mir die Flut von Gefühlen vorstelle, die
über sie hereingebrochen sein muss. Hatte sie Angst? Wie hätten wir reagiert?
Die Auferstehung Jesu war ein beispielloses, einzigartiges und einmaliges
Ereignis, das Marias Leben an genau diesem Tag verändert hat und im Laufe
der Geschichte noch unzählige weitere Leben verändern sollte, darunter auch
das unsrige. Ich glaube, dass Jesus in die Welt gekommen ist, um den Menschen zu zeigen, wie sie humaner miteinander umgehen sollen; davon bin ich
von Tag zu Tag mehr überzeugt.
Und deshalb müssen wir heute und immerzu wachsam sein, denn genau wie
Maria ruft der Auferstandene uns auf und mahnt uns, unsere Augen zu öffnen
und ihn in unserer Umgebung und in unseren Nächsten zu erkennen. Lasst
uns keine Angst haben, denn der Auferstandene ist an unserer Seite und drängt
uns, uns für ein erfülltes und würdevolles Leben für alle Menschen einzusetzen.
Lasst uns mit Worten und Taten bekennen, dass Jesus, unser Herr und
Erlöser, auferstanden ist. Ja, er ist wahrhaftig auferstanden. Amen.


Karla Steilmann Franco ist Pfarrerin der Evangelische Kirche am La Plata in
Argentinien, Paraguay und Uruguay, und Ratsmitglied des LWB.