Am 23. August kam der BELK-Vorstand anlässlich seiner Sitzung in Bern in den Genuss, eine hervorragende Führung durch dieses interreligiöse Gebäude am Europaplatz zu erleben (www.haus-der-religionen.ch). Unter einem Dach leben hier seit 2015 ständig 5 Religionen zusammen, die Hindus mit einem Tempel, die Muslime mit einer Moschee (beides von aussen zugänglich) und die Buddhisten, Alewiten und Christen jeweils mit einem speziell gestaltetem Raum im Innern. Juden, Bahai und Sikhs beteiligen sich auch mit Veranstaltungen.
Dadurch lernen sie sich hautnah kennen, führen viele Gespräche miteinander und müssen sich schon rein (bau)technisch verständigen, denn das Konzept muss von der Idee in die Praxis umgesetzt werden. Dabei müssen viele Dinge beachtet werden, z.B. ab wo man die Schuhe ausziehen muss und wie oft man eine Tür öffnen darf, um die Darstellung darauf nicht zu entehren.
Im Fokus steht der interkulturelle Dialog im Haus und die Einbeziehung einer breiten Öffentlichkeit, die durch ein vielfältiges Programm eingeladen wird. Durch das Zusammenleben erahnt man den Reichtum der religiösen Traditionen und sieht das Eigenen mit anderen Augen. Auffällig war, dass alle angetroffenen Vertreter der Religionen davon sprachen, dass neben diesen Zielen ein großer Teil der zumeist ehrenamtlichen Arbeit auf dem intrareligiösen Gebiet geleistet wird, denn nie gibt es ja nur eine Richtung in den großen Religionen.
Beeindruckt hat mich der Tamile, der uns ein paar Eindrücke aus dem Hindu-Tempel vermittelte, in dem aus den vielen Hindu-Traditionen 6 verschiedene Gottheiten mit „Altären“ und verschiedenen Figuren verehrt werden; u.a. eine für Schöpfung, eine für den Erhalt und eine für die (positive) Zerstörung, wie im biologischen Zyklus. Ein anderer Gott reitet auf einer Maus, die den durch die eigenen Lebensführung geschrumpften und gezähmten Egoismus symbolisiert. Shiva wird als Familie oder als halb Frau/halb Mann dargestellt um zu zeigen, dass alle diese Anteile in jedem Individuum vorhanden sind. Jeder sucht sich dann individuell seinen spirituellen Weg, um zu einer guten Reinkarnation zu gelangen. Ich weiß jetzt, dass die rote Farbe auf der Stirn die göttliche Energie darstellt und die drei Asche-Streifen für Geburt, Leben und Tod stehen. Das Orange bedeutet „coolness“.
Die Begegnung mit dem Imam Mustafa Memeti, der die liberale Europaplatz-Moschee leitet, hat mal wieder gezeigt, dass es in Europa viele engagierte Muslime gibt, die den goldenen Mittelweg in der islamischen Tradition suchen und sich scharf von radikalen Strömungen abgrenzen. Wir konnten heiße politische Themen ansprechen, zu denen er fundierte Reform-islamische Stellungen bezog.
Im buddhistischen Gebetsraum wurde uns von einem Zen-Anhänger erläutert, dass es viele Richtungen gibt, um zu der befreienden Erkenntnis der tiefen Lebenszusammenhänge zu gelangen. Durch bestimmte Lebenseinstellungen und Praktiken wie Achtsamkeit, Empathie, ethisches Handeln und Meditation wird das eigene Leben immer vollkommener und das Leid in der Welt verringert.
Der karg möblierte weiße Kirchenraum ist sehr ungewohnt, denn man schaut an der Stirnseite hinter einem Altartisch auf äthiopisch-orthodoxe Ikonen. Und der Herrenhuter Adventsstern hängt das ganze Jahr, denn er ist so groß geworden nach dem Zusammensetzen, dass er nicht mehr durch die Tür passt. Jede Gemeinschaft kann sich den Raum ausgestalten, wenn sie dort einen Gottesdienst feiert.
Hungrig und erholungsbedürftig geworden nach dem Rundgang mit all den interessanten Ausführungen genossen wir alle das vegetarisch-ayurvedische Mittagessen, das dort jeden Tag angeboten wird. Wenn Sie das nächste Mal nach Bern kommen, dann melden Sie sich doch zu einer Führung an oder besuchen das Haus einfach spontan, man findet immer einen Gesprächspartner.
Irmtraut Dehning, Genf, August 2017