Martin Luther überall! Luther-Bier, Luther-Likör, Luther-Brot und Luther-Souvenirs ohne Ende! Wittenberg beherbergt von Mai bis September die Weltausstellung Reformation. Vor 500 Jahren hat Luther seine 95 Thesen veröffentlicht. Aus theologischen Gedanken wurde eine Reformbewegung, die alle Bereiche des Lebens erfasste: unsere Sprache, das Schulwesen und sogar die Machtverhältnisse in Europa.
Im Wittenberger Stadtgraben wurden sieben Tore der Freiheit mit den damit verbundenen Themenbereichen aufgebaut, so z.B. Kultur, Jugend, Spiritualität, Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, sowie Ökumene und Religion. In letzterem Torraum befindet sich der Pavillon Gasthaus Ökumene der EKD, in dem unsere Genfer Lutherische Kirche (in Vertretung des BELK) 10 Tage lang die Ausstellung von Barbara Blums Reformation und Aufklärung in Europa – die Macht der Ideen – zeigte. Gleichzeitig präsent waren drei Auslandsgemeinden aus Griechenland – Thessaloniki, Kreta und Rhodos – die aus ihrer Arbeit berichteten, nicht zuletzt über die nachhaltigen Hilfsprojekte für Flüchtlinge an verschiedenen Orten Griechenlands; ferner war der Polnische Ökumenische Rat vertreten, eine Kirchengemeinschaft von sieben Mitgliedern, einschließlich der Polnisch-Katholischen Kirche in Polen. Im Gasthaus Ökumene sind in wöchentlichem Wechsel bis September weitere von der EKD unterstützte Auslandsgemeinden aus allen Kontinenten eingeladen, u.a. Costa Rica, Mexiko, die Pfingstkirchen Argentiniens, Estland, Toronto, Südafrika, Südkorea, Japan, Tansania, Ägypten und einige mehr. Welch eine Buntheit und Vielfalt kirchlichen Lebens der Luthergemeinden weltweit!
Aus unserer Kirche kamen, nebst Marc Blessing mit Familie, fünf Freiwillige, um über die Gemeinde und Genf zu berichten und, vor allem, Barbara Blums Ausstellung zu erläutern. Leider war der Ökumene-Pavillon etwas außerhalb der meist frequentierten Besuchermeile und des Stadtzentrums, sodass der Strom der Besucher zu wünschen übrig ließ. Dennoch – es gab Andachten und interessante Gespräche und auf dem roten Sofa der EKD wurden so manche Besucher vorgestellt und interviewt, darunter Bischof Michael Bünker aus Österreich, Generalsekretär der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa.
Das Jubiläum beschränkt sich nicht nur auf Wittenberg. Die Bundesrepublik förderte eine Reise zu 28 Reformationsstätten in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie kunst- und baugeschichtliche Projekte.
Soweit es die Zeit erlaubte, machten auch wir die Tour zu den bemerkenswerten Sehenswürdigkeiten der Weltausstellung. Erwähnt sei die Schlosskirche und das Panorama ‚Luther 1517‘ des Künstlers Yadegar Asisi, das in einem 360 Grad-Riesenrundbild von 15 x 75 m das Leben zu Luthers Zeiten darstellt. Oder die Ausstellung im alten Gefängnis, eigens für die Weltausstellung in Stand gesetzt, wo Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt ihre Werke unter dem Titel Luther und die Avant-Garde zeigen, jeweils in den damaligen Gefängniszellen. Da bleibt man nicht unbeeindruckt. Krasser Gegensatz dazu der Segensroboter BlessU-2, der mit erhobenen Armen und funkelnden Lichtern in der gewünschten Sprache einen Segensspruch sagt…
In einem Heft zum Jubiläum schreibt die EKD: Reformation ist ein historisches Geschehen des 16. Jahrhunderts, sie ist aber auch ein Prozess der ständigen Erneuerung von Glaube, Kirche und Gesellschaft… Zwischen dem 16. und dem 21. Jahrhundert liegen Welten. Amerika war damals gerade erst entdeckt, der Buchdruck erfunden. Heute sind Smartphones allgegenwärtig, wir leben in einer globalisierten, multikulturellen und säkularisierten Welt.
Manche Besucher fühlten sich überwältigt und überfordert von den vielen Veranstaltungen, vor allem als es in den letzten Tagen sehr heiß wurde. Da suchten sie Zuflucht bei uns zu einer Tasse Tee oder Kaffee und Schweizer Schokolade. Die von Marlies gespendete Kiste reichte gerade bis zum letzten Tag! Häufig gab es dann interessante und anregende Gespräche. Am Ende unserer Woche konnten wir an einem besonderen Ereignis teilhaben: Die Taufe der Luther-Rose. Anlässlich des 500-jährigen Jubiläums hat ein Rosenzüchter in Schleswig-Holstein eine weiße, robuste Rosenneuheit kreiert. In einer feierlichen Zeremonie unter freiem Himmel, mit Musik und vielen Besuchern, wurde die Rose von Bischöfin Bosse-Huber, Vizepräsidentin der EKD, getauft. Als Charity-Rose wird sie verkauft; der Erlös kommt einem Schulprojekt der Evangelischen Kirche in Äthiopien zugute. Unsere Rose wird einen Platz im Kirchengarten finden.
Nur ein kleiner Teil des Evangelischen Kirchentages fand in Wittenberg statt. Am Samstagabend versammelten sich Tausende auf den Elbwiesen außerhalb Wittenbergs zum Lichterfest (alle bekamen ein Teelicht) und zum Nachtgebet mit einer eindrucksvollen meditativen Predigt von Frère Alois, dem Prior von Taizé. Die Stille, das Abendlicht, die Lieder schufen eine einzigartige friedvolle Atmosphäre. Tausende verbrachten dort die Nacht in Zelten oder unter freiem Himmel. Beim Schlussgottesdienst tags darauf sollen es an die 100‘000 Teilnehmer gewesen sein.
Was die EKD und Wittenberg organisatorisch für diese Weltausstellung aufgebracht haben, ist schlichtweg eindrucksvoll. Und ein Wittenberger Besucher in unserem Zelt meinte: wenn wir Luther und den Tourismus nicht hätten, wäre Wittenberg eine tote Stadt.
Helmut Reuschle, Juni 2017